Aristoteles und Giacometti

Weil wir uns beim Studium mit Aristoteles rumgeschlagen haben, las ich einen Artikel über Giacometti mit der metaphysischen Brille:

1963, also drei Jahre vor dem Tod Giacomettis, fragt ihn ein Interviewer: »Da Sie so großen Wert darauf legen, den Menschen so zu reproduzieren, wie er ist, warum stellen Sie dann keine Abformungen her?« Er antwortet: »Das habe ich mal gemacht. Grauenhaft. Diese großen amorphen Oberflächen spiegeln vielleicht die physische Wahrheit des Menschen wider, aber erinnern an niemanden, an nichts, was wir sehen. Vielleicht ist das der Mensch, wie er ist, aber es ist jedenfalls nicht der Mensch, wie er mir erscheint, wenn ich ihn betrachte« …
Nach seiner surrealistischen Phase war Giacometti dazu übergegangen, bzw. dahin zurückgekehrt, Menschen zu porträtieren. Er machte dabei eine niederschmetternde Erfahrung, die man antimikroskopisch nennen könnte: »Je mehr ich mich annähere, um so größer wird (das Gesicht) und um so mehr entfernt es sich.« Der menschliche Kopf, der zunächst eine Kugel war, zerfällt bei näherem Hinsehen in viele kaum miteinander zu vereinbarende Details, er wird zu einem »unbekannten Zeichen«. Der Künstler tritt zurück, um das Ganze im Blick zu behalten. Und dieses Zurücktreten hält er in der Skulptur oder auf dem Gemälde fest.
Quelle: Je näher, desto ferner, Stefan Ripplinger in konkret 02/2011

Das passt genau zu Aristoteles’ Unterscheidung von Substanz und Akzidenz – das Ringen des Künstlers um das Wesentliche, das Zugrundeliegende.

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