1. Am Anfang waren die Naturphilosophen. Die emanzipierten sich von archaischen Mythen und haben sich selber was ausgedacht, wie die Welt funktioniert. Vorteil: Ein klares Komplettpaket. Nachteil: Die Grundlagen sind nicht geklärt, bleiben im Nebel.
2. Plato geht wieder einen Schritt zurück. Er betreibt Kritische Philosophie. Er lässt seine Dialogpartner in der damaligen Gesellschaft gängige Positionen analysieren und lässt diejenigen, die wissen, wie es ist, sich in Widersprüche verstricken. Vorteil: Was in den Dialogen vorgeführt wird, stimmt. Stimmen im Sinne von logisch widerspruchsfrei und mit der Alltagserfahrung korrespondierend. Nachteil: Es gibt kein Komplettpaket.
Diese Position passt gut zu dem alten Mathematikerwitz: Zwei Heißluftballonfahrer haben sich im Nebel verirrt. Sagt der eine zum anderen: „Weißt du, wo wir sind?“ Der Gefragte denkt lange nach und antwortet: „Wir sitzen in der Gondel eines Heißluftballons.“ Warum war das ein Mathematiker: Er hat lange nachgedacht. Die Antwort war richtig. Aber völlig unbrauchbar.
Ist es also so, dass die Naturphilosophen versuchten ein System zu bauen, indem Sie eine Gebäude auf einem Fundement errichteten, ohne zu merken, dass das Fundament in der Luft hängt. Plato tritt „nur“ noch als Schiedsrichter auf. Er prüft, ob dass was die Leute sich so ausgedacht haben zusammenpasst. Und wenn es nicht zusammenpasst, dann stimmt es nicht. Aristoteles versucht dann später zwar wieder ein Gebäude zu errichten, ist aber wesentlich vorsichtiger, weil er merkt, dass die erste Wissenschaft sich kategorial von allen anderen unterscheidet. Sie scheint mir momentan eher wie der Schlussstein in einem gemauerten Gewölbebogen. Ohne diesen Schlussstein bricht das Gewölbe zusammen und manche Bauwerke sind falsch angefangen, dann lässt sich kein Schlussstein finden.
Hat sich wohl dieses Spiel im Übergang vom mechanistischen Zeitalter zum letzten Jahrhundert wiederholt:
3. Die experimentelle Methode wird entwickelt. Mit dieser Methode werden allerlei Muster aufgedeckt: Wie sich Planeten bewegen, wie das Blut zirkuliert, Dampfmaschine, Darwin … Am Ende steht bei vielen Leuten eine neue Naturphilosophie: Die Welt bewegt sich nach mathematisierbaren, deterministischen Gesetzen (meine eigene religiöse Herkunft als Naturwissenschaftler). Und auch in der Philosophie werden geschlossene Systeme entwickelt. Uns wurden Kant & Hegel vorgestellt. Ein Indiz dieser Entwicklung, die Überzeugung zum Ende des 19. Jh., dass es in der Physik nicht mehr viel zu entdecken gäbe. Ein anderes Ergebnis dieser Entwicklung ist der Marxismus, der versuchte, die Bewegungsgesetze der gesellschaftlichen Entwicklung aufzudecken und eben auch zu prognostizieren.
4. In der Physik haben Quantenphysik und Relativitätstheorie die Hoffnungen auf eine geschlossene, endgültige Welterklärung erschüttert. Den Prognosen von Marx fehlte es an geeignetem Personal, diese zu verwirklichen. Mir scheint es, dass deshalb viele Philosophen des 20. Jh. wieder vorsichtiger geworden sind. Egal, ob es nun Analytische Philosophie ist oder Kritische Theorie. Die Philosophen nehmen sich Bruchstücke vor, von dem „was den Leuten so durch die Rübe rauscht“ oder sehr weitreichende Prognosen von Nichtphilosophen (die Freiheitsdebatte der Hirnforscher etwa) und dann schauen sie, ob das alles zusammenpasst.