Und dann noch: „Zeitkonzepte in andinen Denktraditionen
und abendländischer Philosophie„
Archiv der Kategorie: Aristoteles
Gewaltfreie Kommunikation & Ethik
Als wissenschaftliche Hausarbeit so ein Textchen: „Bezüge der Gewaltfreien Kommunikation zu den Ethiken von Immanuel Kant und Aristoteles“
Aristoteles und Nachhaltigkeit
Aristoteles in der Nikomachischen Ethik:
Das vollendet Gute muß sich selbst genügen. Wir verstehen darunter ein Genügen nicht bloß für den Einzelnen, der für sich lebt, sondern auch für seine Eltern, Kinder, Weib, Freunde und Mitbürger überhaupt, da der Mensch von Natur für die staatliche Gemeinschaft bestimmt ist. Indessen muß hier eine Grenze gezogen werden. Denn wollte man dies noch weiter auf die Vorfahren und Nachkommen und auf die Freunde der Freunde ausdehnen, so käme man an kein Ende.
Dieses Ausdehnen auf Nachkommen und Freunde der Freunde, das ist genau das was für indigene Völker selbstverständlich ist, was im Konzept des buen vivir steckt, worauf wir Westler uns erst wieder rückbesinnen müssen. Wurzelt unser Die-Erde-Untertan-machen und Nach-mir-die-Sintflut kulturell in dieser Zeit?
Jiddu Krishnamurti
raunt:
Alle Ideologien, ob religiöse oder politische, sind idiotisch, denn es ist das begriffliche Denken, das begriffliche Wort, das die Menschen auf so unglückliche Weise spaltet.
Aber vielleicht schüttet er das Kind mit dem Bade aus. Nach mal wieder einem Semester Aristoteles ist schon klar, dass die Begriffe erbärmlich grobe Werkzeuge sind, sich über die Welt zu verständigen. Aber was bleibt ohne Sprache?
Sind die Menschen „unglücklich gespalten“, weil sie begrifflich denken oder nur weil sie nicht begreifen, was begriffliches Denken bedeutet und Einzelnes und Begriffe munter mischen, wenn sie ihnen „durch die Rübe rauschen“.
Vielleicht reicht es, das begriffliche Denken zu begreifen und seine Möglichkeiten und Beschränkungen auszuloten. Es kann nicht darum gehen, in Magie und Mystik allein zurück zufallen. Ungefähr so, wie in der Gewaltfreien Kommunikation, bei der es nicht darum geht, das bewertende, interpretierende Denken der Wolfssprache zu verbieten, sondern aufzuheben.
Begriff und Ding
Die Beerdigung von Herrn M. Es kann auch ein feierliches Dinner von Herrn und Frau M. zum 28. Hochzeitstag sein. Auf jeden Fall ein Ereignis, dass garantiert einmalig ist. Da fällt mir auf: Gibt es Ereignisse, die nicht garantiert einmalig sind? Eher nicht. Es ist der endliche, grobe menschliche Verstand, der nur einen Bruchteil der Eigenschaften eines Dinges oder Gegenstandes erfasst. Dieses endliche Abbild des unendlich komplexen Einzeldinges ist der Begriff vom Ding. Der elende Abglanz des ganzen Dinges. Es scheinen sich also unendlich komplexe Welt und endliches begriffliches Abbild der Welt gegenüberzustehen. Ich kenne zwei Wege mit dem Dilemma fertig zu werden:
- Die fernöstlichen Freunde der Meditation verteufeln das Denken, lassen in der Meditation den Verstand zur Ruhe kommen. Manche erlangen auf diesem Weg etwas, was sie Erleuchtung nennen, das sie aber nicht teilen können, von dem sie aber überzeugt sind, dass es eine geeignete Methode sei, das Ganze zu schauen.
- Die Freunde des westlichen Denkens können trainieren, sich stets und ständig ihres endlichen, vorläufigen Charakters ihres begrifflichen Abbildes der Welt bewusst zu sein. Ein Weg zu mehr Achtsamkeit, genau wie bei den Freunden der Meditation.
Und ich sehe auch ganz deutlich, dass bei meinen wilden Schülern keine Einsicht in dieses Problem besteht. Sie sind von der Identität der Welt und dessen, „was ihnen durch die Rübe rauscht“, überzeugt.
Aristoteles und die Erste Wissenschaft
Ich habe Zweifel an der Bestimmung des Gegenstandes der Ersten Wissenschaft.
Der Zweifel geht so:
Es wurde über Gattung und Art geredet. Und wie sukzessive immer mehr Eigenschaften weggelassen werden. Extension erweitern, Intension verkleinern. Und dann wird suggeriert, käme man auf genau eine abstrakte Ebene, bei der es nur noch um das Sein ginge. Mir kommt das ganze wie ein hierarchisches System vor, in dem es eine eindeutig definierte Spitze gibt.
Aber ist das so? Wenn ich die Taxonomie der Biologie betrachte und genauso schließe wie bei der Begründung des Gegenstandes der Ersten Wissenschaft, dann komme ich zur Untersuchung der Ersten Art, des ursprünglichen Lebewesens. Nach heutigem Stand des Wissens hat es ein solches Lebewesen aber nicht gegeben und der Anfang des Lebens fand in so einer Ursuppe aus organischen Verbindungen statt.
Und genau das ist mein Zweifel: Woher kommt der Optimismus, durch Abstraktion von allen Eigenschaften auf genau eine Erste Wissenschaft zu kommen? Der Zweifel des Mathematikers, der weiß wie schwer es ist, vom Verhalten einer Zahlenfolge im Endlichen auf ihren Grenzwert im Unendlichen zu schließen.
Philosophie als Herrschaftstechnik?
Was bedeutet es, in einem geschlossenen System mit fertigen Begriffen nach vorgegebenen Regeln zu Jonglieren? Ich sehe in „unserem“ System drei eherne Säulen: zweiwertige Logik/Widerspruchsprinzip, die Annahme von a-priori-Fakten & Anthropozentrismus.
Ich schreibe das, weil ich gestern einen Vortrag zum Konzept des Sumak kawsay der indigenen Völker des Andenraumes gehört habe. Dort gab es Hinweise auf das Denken in vorkolonialer Zeit:
- Es gibt so ein zentrales Konzept „pacha“, das Zeit und Raum enthält. Die Zukunft ist in diesem Denken ein Wieder-Holen der Vergangenheit. Der Referent erinnerte sich an seine Verwirrungen als er mit 6 Jahren Spanisch lernte und damit ein neues „a priori“ aufgedrückt bekam.
- Es gibt ein Denken in 4 Wahrheitswerten im Sinne einer Tetralektik. Mir fiel sofort das Tetralemma ein. In einem Nebensatz hieß es, dass Aristoteles ein solches Denken verdrängt habe.
- Schon das Denken des Menschen als Teil der Natur trennt ihn von dieser. Es gibt überhaupt keinen Gegensatz keine Dualität: hier der Mensch – da das Andere die Umwelt, die Natur.
Und was heißt das nun, wenn Kant sagt, wir können nicht zu den Dingen an sich vordringen und sehen unsere Welt durch die apriori-Brille. Kann es sein, das wir durch unsere Art des Philosophierens Teil des Systems sind, das gerade auf eine Singularität zusteuert. Und dann stellt sich raus: an anderen Ecken der Welt gibt es andere Brillen.
Aristoteles und die Salutogenese
Da lief mir doch auf einem Seminar zur Dialogischen Haltung mit Johannes Schopp die Salutogenese über den Weg.
Also Salutogenese: Gesundheit nicht als Zustand der Abwesenheit von Krankheit. Medizin nicht als Bekämpfen von Krankheit, sondern als Fördern von Gesundheit. Nachschauen, was machen die Leute, die gesund sind. Weg vom Gegensatzpaar krank-gesund.
Und das ist doch wohl Aristoteles Ethikauffassung ziemlich verwandt. Bei ihm gab es noch nicht Gut & Böse als Handlungsoptionen. Bei ihm wollten noch alle das Gute und die, die Mist gebaut haben, konnten es nicht besser.
Das passt doch gut zusammen.
Philosophie und Physik 1
Bei Aristoteles hat die Wirklichkeit mit dem unbewegten Beweger Prozesscharakter, die Welt in einem stationären Gleichgewicht. So wie ich Aristoteles verstanden habe, trennt er da auch nicht scharf zwischen materiellen und immateriellen Dingen. Auf jeden Fall passt das gut zu den aktuellen Modellen, wie die Materie aufgebaut ist: da gibt es auch keinerlei feste Kullern, die die Welt konstituieren: nur Quanten, die als Lösungen von lauter Schrödingergleichungen in ständiger Bewegung, Schwingung, gegenseitiger Wechselwirkung durch den Raum wabern, oder nein den Raum bestimmen. Die Quarks existieren nur gemeinsam, nie isoliert – ähnlich wie Stoff und Form.
Aristoteles und Giacometti
Weil wir uns beim Studium mit Aristoteles rumgeschlagen haben, las ich einen Artikel über Giacometti mit der metaphysischen Brille:
1963, also drei Jahre vor dem Tod Giacomettis, fragt ihn ein Interviewer: »Da Sie so großen Wert darauf legen, den Menschen so zu reproduzieren, wie er ist, warum stellen Sie dann keine Abformungen her?« Er antwortet: »Das habe ich mal gemacht. Grauenhaft. Diese großen amorphen Oberflächen spiegeln vielleicht die physische Wahrheit des Menschen wider, aber erinnern an niemanden, an nichts, was wir sehen. Vielleicht ist das der Mensch, wie er ist, aber es ist jedenfalls nicht der Mensch, wie er mir erscheint, wenn ich ihn betrachte« …
Nach seiner surrealistischen Phase war Giacometti dazu übergegangen, bzw. dahin zurückgekehrt, Menschen zu porträtieren. Er machte dabei eine niederschmetternde Erfahrung, die man antimikroskopisch nennen könnte: »Je mehr ich mich annähere, um so größer wird (das Gesicht) und um so mehr entfernt es sich.« Der menschliche Kopf, der zunächst eine Kugel war, zerfällt bei näherem Hinsehen in viele kaum miteinander zu vereinbarende Details, er wird zu einem »unbekannten Zeichen«. Der Künstler tritt zurück, um das Ganze im Blick zu behalten. Und dieses Zurücktreten hält er in der Skulptur oder auf dem Gemälde fest.
Quelle: Je näher, desto ferner, Stefan Ripplinger in konkret 02/2011
Das passt genau zu Aristoteles’ Unterscheidung von Substanz und Akzidenz – das Ringen des Künstlers um das Wesentliche, das Zugrundeliegende.