Ich gräme mich ja häufig über den alten Kram, mit dem ich mich beim Ethikstudium rumschlagen muss, insbesondere dann, wenn sich Kants Kategorischer Imperativ in ethische Argumentationen in einer dogmatischen Art und Weise einschleicht, die unangenehm an die historische Mission der Arbeiterklasse und die Liebe zur Sowjetunion erinnert.
Christoph Helferichs Geschichte der Philosophie schreibt über den Deutschen Idealismus von Kant bis Hegel:
Die Lage ist also sehr ernst, die Aufgabe schwer, und doch haben wir hier noch einmal einen großen Optimismus. Er speist sich – auf der Ebene des Denkens gesehen – aus einem unbedingten Vertrauen in die menschliche Vernunft. Kant z. B. geht davon aus, »daß gar keine Frage, welche einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrifft, für eben dieselbe menschliche Vernunft unauflöslich sei.« Nur dieses unbedingte Vertrauen ermöglichte den Entwurf so totaler Systeme, die mit der Beseitigung falscher Denkgewohnheiten den Grund für richtiges Denken und Handeln gelegt zu haben glaubten.
Spätestens Mitte des vorigen Jahrhunderts ist das idealistische System zusammengebrochen. Die Vernunft trägt nicht mehr als Basis, die Philosophie gerät in die Defensive. Daher auch unsere Distanz gegenüber dieser großen Philosophie. Sie hat Vorbilder geliefert und Maßstäbe gesetzt, die verbindlich bleiben, und doch kann aus angebbaren Gründen heute nicht mehr so gedacht werden.
Das bestätigt mich in meinen Zweifeln, so als ob es eben doch einen aktuellen Stand philosophischen Denkens gibt. Vielleicht verhalten sich Kant und Co. doch zu den modernen Denkern wie die klassische Mechanik zu Quantenphysik und Relativitätstheorie.
P.S. Natürlich haue ich immer noch Verstand und Vernunft durcheinander.