Jiddu Krishnamurti

raunt:

Alle Ideologien, ob religiöse oder politische, sind idiotisch, denn es ist das begriffliche Denken, das begriffliche Wort, das die Menschen auf so unglückliche Weise spaltet.

Aber vielleicht schüttet er das Kind mit dem Bade aus. Nach mal wieder einem Semester Aristoteles ist schon klar, dass die Begriffe erbärmlich grobe Werkzeuge sind, sich über die Welt zu verständigen. Aber was bleibt ohne Sprache?

Sind die Menschen „unglücklich gespalten“, weil sie begrifflich denken oder nur weil sie nicht begreifen, was begriffliches Denken bedeutet und Einzelnes und Begriffe munter mischen, wenn sie ihnen „durch die Rübe rauschen“.

Vielleicht reicht es, das begriffliche Denken zu begreifen und seine Möglichkeiten und Beschränkungen auszuloten. Es kann nicht darum gehen, in Magie und Mystik allein zurück zufallen. Ungefähr so, wie in der Gewaltfreien Kommunikation, bei der es nicht darum geht, das bewertende, interpretierende Denken der Wolfssprache zu verbieten, sondern aufzuheben.

Kant & Focault

Das Ringen Kants um die Kategorientafel scheint mir mit meinem verblassenden mathematischen Hintergrundwissen wie das Suchen nach einem Axiomensystem. Kant geht dabei noch davon aus, dass Axiome nicht bewiesen werden müssen, weil sie evident sind. Ich habe diese Suche durch die Brille der Zeit nach der Grundlagenkrise der Mathematik gesehen, mit so Erinnerung an Euklidische und Nicht-Euklidische Geometrie. Deshalb wohl meine Abneigung gegen ein personenunabhängiges, nicht kulturell bedingtes a priori, das allen Einzelvernunften gemeinsam ist.

Dachte ich mir zumindest, dass ich so ticke. Aber dann habe ich nochmal nachgeklickert und festgestellt, dass Focault das a priori als etwa historisch bedingtes sieht. Und „Überwachen und Strafen“ habe ich natürlich gelesen. Und auch Eske Bockelmann mit seinem „Im Takt des Geldes.“ Schon lustig, das hatte ich ganz vergessen, was ich so alles gelesen habe, so dass sich mein Denken dahin entwickelt hat, dass ich denke, dass das Denken (das die Welt mitkonstruiert¹) biografisch und historisch-kulturell determiniert ist.

¹ Wie unter Begriff und Ding zu lesen, wurde ich als Nominalist geoutet – bin nun bestrebt mich zu bessern :-)

Was heißt „Sein“

Heureka, klick im Hirn. Ich weiß es nicht. Ich habe gemerkt, dass mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine schlüssige Erklärung, keine Definition für das Wort „sein“ oder „ist“ zur Verfügung steht. Jeder garstige Sokrates könnte mich mit geschickten Fragen in die Ecke treiben, wenn ich behauptete, ich hätte vom Konzept der Existenz mehr als nur eine Vorstellung.

Zwei Sachen fanden vor diesem Klick statt:

1. Sebastian hat mich in seinem Kommentar zu Begriff und Ding entlarvt:

Aus Ihrer Darstellung ist ersichtlich, dass sie nominalistisch Argumentieren, indem Sie die Prämisse einführen, dass es nur Einzeldinge gibt und dass diese die Gegenstände unserer Erkenntnis sind, welche letztlich als unvollkommene Begriffe (Abglanz) in unserem Kopf rumgeistern…

Diese Analyse trifft wohl zu und hat mich schwer getroffen. Vielen Dank für die Granate in ein Fundament meiner Gedankengebäude. Ich kann jetzt klarer erkennen, wie ich ticke, wenn ich unreflektiert nachdenke.

2. Im Aristotelesseminar gab es die Frage, was denn wohl typisch aristotelisches Denken sei. Es gab eine schnelle Kurzübersicht, die in der Zusammenfassung mündete, dass Aristoteles im Grunde genommen möglichst vorausetzungslose analytische Philosophie betreibe. Mir fiel das Bild von Strawson ein, der meinte, wir hätten mit unserer Sprache ein Netz vor uns mit allerlei Knoten und Verbindungen, die der Philosoph untersuche. Das Sein ist dann so ein Knoten mit besonders vielen Verbindungen zu andren Knoten. Aber die Philosophie kann gar nicht klären ob es etwas gibt, sie kann nur versuchen zu klären, was es heißt: Der Stuhl ist. Das Seiende als Seiendes eben.

Begriff und Ding

Die Beerdigung von Herrn M. Es kann auch ein feierliches Dinner von Herrn und Frau M. zum 28. Hochzeitstag sein. Auf jeden Fall ein Ereignis, dass garantiert einmalig ist. Da fällt mir auf: Gibt es Ereignisse, die nicht garantiert einmalig sind? Eher nicht. Es ist der endliche, grobe menschliche Verstand, der nur einen Bruchteil der Eigenschaften eines Dinges oder Gegenstandes erfasst. Dieses endliche Abbild des unendlich komplexen Einzeldinges ist der Begriff vom Ding. Der elende Abglanz des ganzen Dinges. Es scheinen sich also unendlich komplexe Welt und endliches begriffliches Abbild der Welt gegenüberzustehen. Ich kenne zwei Wege mit dem Dilemma fertig zu werden:

  1. Die fernöstlichen Freunde der Meditation verteufeln das Denken, lassen in der Meditation den Verstand zur Ruhe kommen. Manche erlangen auf diesem Weg etwas, was sie Erleuchtung nennen, das sie aber nicht teilen können, von dem sie aber überzeugt sind, dass es eine geeignete Methode sei, das Ganze zu schauen.
  2. Die Freunde des westlichen Denkens können trainieren, sich stets und ständig ihres endlichen, vorläufigen Charakters ihres begrifflichen Abbildes der Welt bewusst zu sein. Ein Weg zu mehr Achtsamkeit, genau wie bei den Freunden der Meditation.

Und ich sehe auch ganz deutlich, dass bei meinen wilden Schülern keine Einsicht in dieses Problem besteht. Sie sind von der Identität der Welt und dessen, „was ihnen durch die Rübe rauscht“, überzeugt.

Aristoteles und die Erste Wissenschaft

Ich habe Zweifel an der Bestimmung des Gegenstandes der Ersten Wissenschaft.
Der Zweifel geht so:
Es wurde über Gattung und Art geredet. Und wie sukzessive immer mehr Eigenschaften weggelassen werden. Extension erweitern, Intension verkleinern. Und dann wird suggeriert, käme man auf genau eine abstrakte Ebene, bei der es nur noch um das Sein ginge. Mir kommt das ganze wie ein hierarchisches System vor, in dem es eine eindeutig definierte Spitze gibt.
Aber ist das so? Wenn ich die Taxonomie der Biologie betrachte und genauso schließe wie bei der Begründung des Gegenstandes der Ersten Wissenschaft, dann komme ich zur Untersuchung der Ersten Art, des ursprünglichen Lebewesens. Nach heutigem Stand des Wissens hat es ein solches Lebewesen aber nicht gegeben und der Anfang des Lebens fand in so einer Ursuppe aus organischen Verbindungen statt.
Und genau das ist mein Zweifel: Woher kommt der Optimismus, durch Abstraktion von allen Eigenschaften auf genau eine Erste Wissenschaft zu kommen? Der Zweifel des Mathematikers, der weiß wie schwer es ist, vom Verhalten einer Zahlenfolge im Endlichen auf ihren Grenzwert im Unendlichen zu schließen.

Resümee

2 Jahre Nebenbeischnellbesohlung Praktische Philosophie: Mir spuken 4 Sachen besonders im Kopf rum:

  1. Hegel
  2. Moralisches Urteilen
  3. Methaetik
  4. Die Einfachheit Gottes

Hegel

Hegels Dialektik ist mein Favorit. Überall sehe ich Negationen der Negation, Einheit und Kampf der Gegensätze. Aber nicht mehr so mechanistisch wie zu Parteilehrjahrzeiten.

Mit mildem Verständnis aber auch Traurigkeit sehe ich all die wilden Anti-istInnen, die alle nur den Negationsteil eines Widerspruchs angreifen.

Am Spannendsten für mich Hegel sein Für-Sich-Sein und Für-Andere-Sein. Die Unmöglichkeit des isolierten Menschseins. Ein Appell gegen westlich überzogenen Individualitätskult und gegen unreflektierte archaische Hordenmentalität.

Oder das Raunen asiatisch-Toller Weisheit, die predigt, ich sei nicht mein Denken und ich solle mich gefälligst auf mein Sitzkissen setzen und meditieren, bis das Denken zur Ruhe komme. Das kann ich schon einsehen, dass ich nicht mein Denken bin. Aber natürlich ist es Unfug, das, was von mir bleibt, wenn ich das Denken weglasse, mein wahres Ich zu nennen. Ich bin die dialektische Einheit meines Denkens und Nicht-Denkens. Genauso wie ich die Einheit aus meinem Für-mich-Sein und meinen Beziehungen zu anderen bin.

Moralische Urteilen

Als Ergebnis dieser Vorlesung bleibt mir das Negativergebnis: Es ist nicht möglich eine einfache Globaltheorie darüber aufzustellen, welche Handlungen gut/richtig und böse/falsch sind.

Methaethik

Moralische Urteile sind Sprechakte. Sie haben eine deskriptive und eine performative Bedeutung. Die performative Bedeutung ist ein schnöder Imperativ. Dieser Zusammenhang ist den wenigsten bewusst. Moralisierer sind stolz auf ausgeklügelte Systeme deskriptiver Bedeutung. Die meisten Menschen können aber an sie gerichtete Imperative nicht leiden. Deshalb ist Moralisieren so uneffektiv.
Was effektiver scheint, ist folgendes: Moralisierender und Moralisierter erkennen, dass sie im selben Boot sitzen und überlegen gemeinsam, wie für sie das Leben schöner wird.

Die Einfachheit Gottes

Die alten Scholastiker haben viel Hirnschmalz darauf verwendet, nachzuweisen, dass es möglich ist, dass Gott einfach ist und gleichzeitig allwissend, allmächtig, gütig, … Gott ist mir relativ wurscht. Aber diese Eigenschaft der Einfachheit macht mich momentan nachdenklich. Ist es richtig, einen Menschen als Konglomerat seiner Eigenschaften zu betrachten, ihn zu ergründen, indem ich immer mehr Eigenschaften quantifiziere. Wäre es nicht viel schöner und angebrachter, diesen meinen Mitmenschen als (göttliche) einfache Entität zu sehen. Und die Eigenschaften sind wie unterschiedliche Lichtreflexionen eines geschliffenen Diamants.

Vektoren der Entwicklung

  1. Beim Teleologen Aristoteles streben alle nach dem Telos. Und diese Telos ist das Gute. Die, die es nicht machen, den mangelt es an den soft-skills den vorgezeichneten Weg zu gehen. Also so eine Anziehungskraft zwischen uns und dem Telos.
  2. Die Aufklärer feiern Vernunft und freien Willen, brauchen für die Richtung deren Strebens wabbelige Konstrukte (Gott & Co.), von denen sie selber wissen, dass sie weder bewiesen noch widerlegt werden können. Also kraft unseres Willens bringen wir uns an jedem Punkt unserer Bahn auf Kurs.
  3. Den dialektischen Dreisprung machen die menschenfreundlichen Neurobiologen, etwa Gerald Hüther oder Joachim Bauer. Sie meinen nachweisen zu können, dass der Mensch auf gelingende Kooperation präkonditioniert ist. Wer solche Verhältnisse in seiner Kindheit und Jugend nicht erlebt, hat allerdings die Arschkarte gezogen, dem fehlen dann nämlich ein paar Synapsen für die notwendige Empathiefähigkeit. So als ob uns die Evolution in eine bestimmte (und zwar nette) Richtung schießt.

Philosophie als Herrschaftstechnik?

Was bedeutet es, in einem geschlossenen System mit fertigen Begriffen nach vorgegebenen Regeln zu Jonglieren? Ich sehe in „unserem“ System drei eherne Säulen: zweiwertige Logik/Widerspruchsprinzip, die Annahme von a-priori-Fakten & Anthropozentrismus.

Ich schreibe das, weil ich gestern einen Vortrag zum Konzept des Sumak kawsay der indigenen Völker des Andenraumes gehört habe. Dort gab es Hinweise auf das Denken in vorkolonialer Zeit:

  • Es gibt so ein zentrales Konzept „pacha“, das Zeit und Raum enthält. Die Zukunft ist in diesem Denken ein Wieder-Holen der Vergangenheit. Der Referent erinnerte sich an seine Verwirrungen als er mit 6 Jahren Spanisch lernte und damit ein neues „a priori“ aufgedrückt bekam.
  • Es gibt ein Denken in 4 Wahrheitswerten im Sinne einer Tetralektik. Mir fiel sofort das Tetralemma ein. In einem Nebensatz hieß es, dass Aristoteles ein solches Denken verdrängt habe.
  • Schon das Denken des Menschen als Teil der Natur trennt ihn von dieser. Es gibt überhaupt keinen Gegensatz keine Dualität: hier der Mensch – da das Andere die Umwelt, die Natur.

Und was heißt das nun, wenn Kant sagt, wir können nicht zu den Dingen an sich vordringen und sehen unsere Welt durch die apriori-Brille. Kann es sein, das wir durch unsere Art des Philosophierens Teil des Systems sind, das gerade auf eine Singularität zusteuert. Und dann stellt sich raus: an anderen Ecken der Welt gibt es andere Brillen.

Diotima

Ich zweifele ja immer mehr an, dass das Gute 100%ig rational geklärt werden kann. Die von uns behandelten Denker bestreiten dies nicht. Aber mir bleibt immer so ein fader Beigeschmack, weil sich die rationalistischen Heilslehren alle gleich anhören: Du kannst das Gute/Richtige erkennen, du bist frei es zu tun und wenn du es nicht machst, bist du eine willensschwache Wurst.

All der ganze positive Kram um Spiegelneuronen, Bindungstypen und Empathie spielt keine Rolle. Nun könnte ich ja sagen: naja, das sind alles Forschungsergebnisse, die allerhöchstens 50 Jahre alt sind und unsere alten Herren Philosophen aus dem Studium konnten das noch nicht wissen. Aber über den Umweg über Eves Welt ist mir Diotima über den Weg gelaufen und die Dame stammt aus einem Platodialog und hat Sokrates gelehrt:

Der Mensch verfügt über Zeugungskraft oder Fruchtbarkeit sowohl im körperlichen als auch im seelischen Sinne. Diese Fähigkeit des Hervorbringens ist ebenso wie die Schönheit von göttlicher Art, daher kann sie sich dort entfalten, wo sie auf Schönes trifft; mit Hässlichem harmoniert sie nicht, daher wird sie von ihm nicht aktiviert. Aus diesem Grund richtet sich das erotische Begehren auf das Schöne. Dabei wird aber das Schöne nicht als solches erstrebt. Der erotische Drang ist nicht Liebe zum Schönen, sondern ein Drang zum Zeugen und Hervorbringen im Schönen. Das Sterbliche strebt nämlich nach Unsterblichkeit. Mittels der Fortpflanzung können Sterbliche etwas von sich hinterlassen und so eine Dauerhaftigkeit erreichen, mit der sie gewissermaßen am Unsterblichen teilhaben. Analog dazu ist auch das Hervorbringen dauerhafter geistiger Werte, etwa in der Dichtung oder der Gesetzgebung, eine Art von Zeugung, die „unsterblichen“ Ruhm verschafft.

M.a.W. Wir sind darauf konditioniert das Gute und Schöne zu wollen – und nicht zu sollen.

So, und jetzt lese ich noch das Original.