Kantiger Buddhismus

In der Auseinandersetzung mit Kant seiner Ablehnung der Existenz als Prädikat eines Dings ging es nochmal um Real- und Nominaldefinitionen. Und da hieß es, dass Menschen in ihrer Endlichkeit zu beschränkt sind ordentliche Realdefinitionen zu handhaben. Sie sind auf Begriffe, auf Nominaldefinitionen angewiesen. Das heißt, wenn Menschen denken, wälzen sie Begriffe hin und her, Begriffe, die nie die Welt in ihrer Komplexität erfassen. Und auch wenn ich über einen bestimmten Menschen nachdenke – und zwar nicht über Sokrates – sondern einen, der mir nahe steht, etwa Frieda. Dann rauscht mir Frieda als Begriff durch die Rübe und diese Begriffsfrieda ist viel weniger als die Frieda, die mir gegenübersitzt und mich ansieht. Und wenn mir diese Differenz nicht bewusst ist, dann ist Stress vorprogrammiert. Ruft fernöstliche Weisheit deshalb aufs meditative Sitzkissen, um die Wirklichkeit hinter dem Denken zu suchen? Setzt sie deshalb Leiden und Denken in eine enge Beziehung?

Philosophieren als Kulturtechnik?

Ein klares ja, aber.

„Die abendländische Philosophie weist nun darüber hinaus die Eigentümlichkeit auf, nach grundlegenden Begriffen oder Aussageweisen zu suchen – den Kategorien -, die über den bloßen Wechsel oder die potentiell unendliche Vielfalt von Situationen hinausgehen: ethische Grundsachverhalte und -begriffe wie auch erkenntnistheoretische.“ (U. Seeberg)

Oder eine zentrale These aus der Vorlesung über moralisches Urteilen: Handlungen sind gut oder böse (tertium non datur)

An diesen beiden Sätzen kondensieren meine Zweifel. Wie ist das mit der abendländischen Philosophie und ihrem Dualismus, ihrem wahr oder falsch, ihrer Ausrichtung an der klassischen Mechanik von Newton und Gallileo. Wie ist das mit der Quantenphysik, dem deterministischen Chaos, dem Tetralemma.

In einem kleinen Büchlein zur Gewaltfreien Kommunikation heißt es:

Die Haltung des „Sowohl-als-auch“ zu entwickeln, fällt den meisten schwer, da nicht nur zu Hause und im Betrieb, sondern auch in vielen Medien der Fokus auf Gegensätzen, statt auf Gemeinsamkeiten liegt: Täter/Opfer, gut/böse, oben/ unten. Wir lernen, dass Macht ungleich verteilt ist und dass sie dazu verleitet, sie gegenüber anderen auszunutzen.

Wo führt uns die phänomenologisch-hermeneutisch-dialektisch-analytisch-spekulative Methodenschlange hin? Bringt sie uns dem Guten näher? Oder schafft sie es nur, wie in den Dialogen des Sokrates, die Risse in den Weltbildern der Anderen aufzuzeigen. Was nützt es uns, uns zu feiern, dass wir Nazis oder Homophoben nachweisen, dass ihre Weltbilder „falsch“ sind.

Eine Ausweg weist Hannes Bode in einem Vortrag über das Verhältnis von Theorie und Praxis: Die Theorie ohne Empathie ist nichts und umgekehrt.

Auf einem Auge blind

Sokrates, Plato und Aristoteles philosophieren trefflich über das Gute – in einer Gesellschaft, in der Frauen, Kinder und Sklaven keine richtigen Menschen sind.

Die Aufklärer klären auf, finden Toleranz toll und feiern die Vernunft, verhelfen dem Kapital zur Freiheit. Und sie kommen gut mit dem Sklavenhandel im 18. Jahrhundert klar, zumindest ist das nicht ihre wesentliche Baustelle. Für Voltaire und Kant sind Neger keine vollwertigen Menschen.

Und genau in dieser Tradition dönsen wir weiter über einen ethischen Minimalkonsens, während FRONTEX uns das hungrige Negerpack vom Hals hält.

Wir reflektieren genauestens das Einzelne, unseren Bauchnabel, das Gewissen, die Vernunft und schweigen über das Ganze.

Hegel und die Ichauflösung

Ich hatte ja schon mal so einen Schnippsel gefunden, der sich gut mit sitzkissenerfahrenen Ichauflösern verträgt. Hier ist noch so ein Teil:

Diese Bestimmtheit, welche den wesentlichen Charakter des Dings ausmacht, und es von allen andern unterscheidet, ist nun so bestimmt, daß das Ding dadurch im Gegensatze mit andern ist, aber sich darin für sich erhalten soll. Ding aber, oder für sich seiendes Eins ist es nur, insofern es nicht in dieser Beziehung auf andere steht; denn in dieser Beziehung ist vielmehr der Zusammenhang mit anderem gesetzt; und Zusammenhang mit anderem ist das Aufhören des Für-sich-seins. Durch den absoluten Charakter gerade und seine Entgegensetzung verhält es sich zu andern, und ist wesentlich nur dies Verhalten; das Verhältnis aber ist die Negation seiner Selbstständigkeit, und das Ding geht vielmehr durch seine wesentliche Eigenschaft zugrunde.

Und so ein Mensch, ein Individuum ist ja wohl ein Einzelding. Wenn ich den obigen Absatz mit Individuum statt mit Ding lese, dann kommt da eine herrliche Kritik am Feiern des autonomen Einzelmenschen raus. Der Mensch kann gar nicht anders als sich im Verhältnis zu anderen zu verhalten.

 

Tolle und Wittgenstein passen gut zusammen

Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.
Ludwig Wittgenstein

Wenn wir Dinge, Menschen oder Situationen mit verbalen oder mentalen Etiketten versehen, wird unsere Wirklichkeit hohl und leblos.
Eckhart Tolle

Sind das Angriffe gegen das Primat des diskursiven Denkens und Aufrufe zu allerlei Formen des präsentativen Denkens.

Analogietest

Dann steht da noch in meinem Lehrbuch:

Durch eine Untersuchung ähnlicher, analoger Fälle lassen sich die bislang formulierten Intuitionen und Urteile auf ihre Kohärenz hin überprüfen. Was in einem Fall richtig ist, muss auch in anderen ähnlich gelagerten Fällen richtig sein (Grundsatz der Verallgemeinerung).

Vielleicht ist ja genau diese Sache falsch. Mir fällt das deterministische Chaos ein: Prozesse bei denen keine starke Kausalität besteht, bei denen kleine Änderungen der Ausgangsbedingungen eben nicht zu ähnlichen, sondern zu völlig anderen Folgen führen.

Und meiner Meinung nach liegt genau diese Situation in vielen ethischen Problemsituationen vor: Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe, Krieg führen, …