Was ist richtig?

Was ist richtiger Kohlenstoff? Graphit oder Diamant?

Was ist richtiges H2O? Eis, flüssiges Wasser oder Wasserdampf?

Was ist eine richtige Buche? So eine frei stehende mit großer runder Krone oder eher so ein Baum aus einem dichten Wald?

Was ist ein richtiger Mensch? So einer, der in seiner frühen Kindheit Schläge und Gleichgültigkeit erfahren hat, dem sich die Angst tief in den Mandelkern eingegraben hat, der sich darauf spezialisiert hat in einer Gesellschaft zu überleben, in der jeder jedes Feind ist, auch wenn die Realität weniger dramatisch ist? Oder einer, der in seiner frühen Kindheit Liebe und Geborgenheit erfahren hat, der viele Spiegelneuronen hat und voller Empathie ist, der sich darauf spezialisiert hat in einer Gesellschaft voller Kooperation mit seinen Mitmenschen in Güte zusammenzuleben, auch wenn die Realität weniger harmonisch ist?

Was ist Erziehung? Den Zögling ins eigene Lager ziehen. Mit der jeweils gesetzlich größtmöglich gestatteten Härte den Zögling zum Funktionieren zu bringen, versäumte Schläge durch Beleidigungen und Einschüchterungen nachholen: „Das Leben ist kein Wunschkonzert und Lehrjahre keine Herrenjahre.“ Oder Möglichkeiten und Visionen eines solidarischen Miteinander aufzeigen.

Natürlich gehöre ich der solidarischen Spiegelneuronenfraktion an. Aber wenn ich logisch-analytisch-sachlich begründen soll, warum ich Recht habe, dann wird die Luft ganz schnell sehr dünn: „Studien belegen, dass … “ Und die Trauer ist groß, dass die Anderen weniger Skrupel haben, sich im Zweifelsfall mit Gewalt ihre Welt bewahren.

Sokrates und die Faschos

Der hehre Logosgrundsatz klingt gut:

„Denn nicht nur jetzt, sondern schon immer habe ich ja das an mir, dass ich nichts anderem von mir gehorche als dem Satze, der sich mir bei der Untersuchung als der beste zeigt.“

Auch der ganze andere Kram: „Prüfe selbst!“, „Suche die Wahrheit!“ Tolle Binsenweisheiten, darüber das sich das Richtige durchsetzen solle, kraft der Benutzung der Vernunft.

Und doch fiel mir so ein Komunikationsseminar unter der Überschrift „Argumentieren in Diskussionen“ ein. Wir hatten alle unsere Feindbilder, etwa Rassisten oder Nazis, im Hinterkopf und jede Menge richtige Argumente, warum die der Nazis falsch seien. Aber eine Grundaussage des Seminars war, dass der Empfänger darüber entscheidet, ob das Argument „richtig“ ist, anerkannt wird.

Und da weiß ich eben nicht, wie weit ich mit Kant oder Sokrates kommen kann, die beide den Verstand/die Vernunft feiern. Schön und gut im Kampf gegen Aberglauben oder religiösen Dogmatismus. Aber die beiden haben eben die Rechnung ohne Freud gemacht und unser heutiges Wissen um das Unbewusste, um die Beziehungsebene – auch bei der Wahrheitssuche im Gespräch.